Madeleine Mitrovic
25. Nov. 2024
Frag doch mal AGNES!
Wie bei der Asfinag mit neuer KI-Kollegin gearbeitet wird
„Frag doch mal AGNES, ob sie mehr dazu weiß“ – ein Hinweis, der im Arbeitsalltag bei der Asfinag inzwischen ganz selbstverständlich fällt. Doch AGNES ist keine neue Kollegin im klassischen Sinne, sondern ein KI-gestützter Chatbot, der seit Sommer 2024 im Unternehmen im Einsatz ist.
Thomas Schirgi, der Projektmanager, erhielt den Auftrag, zu prüfen, ob die Asfinag von generativer KI profitieren könnte. So entstand, in Zusammenarbeit mit dem Digitalisierungsberater Nagarro, AGNES. Während einige Mitarbeiter:innen sofort begeistert waren, gab es auch Skepsis. Doch inzwischen nutzen über 25 Prozent der Belegschaft die KI-Assistentin, die den Arbeitsalltag schon jetzt in vielen Bereichen erleichtert.
Warum wollte die Asfinag einen Chatbot bzw. generative KI überhaupt einsetzen?
Thomas Schirgi: Begonnen hat alles mit dem Auftrag zu schauen, was es mit dem Hype um ChatGPT auf sich hat und wie wir im Unternehmen davon profitieren könnten. Dazu muss man wissen, dass die Asfinag über viele Standorte verteilt Mitarbeiter:innen hat. Wir betreiben über 2.200km Autobahn, die gesamte Maut-Infrastruktur, wo alleine schon 700 Leute sind. Dann gibt es noch das Baumanagement und die Servicegesellschaft für den Betrieb. Als ich den Auftrag von unserem CIO Bernd Datler bekam, ging es vor allem darum, anzuschauen, ob Generative KI für uns überhaupt nützlich sein könnte. Ich bin dann schnell auf Nagarro als Partner gekommen, weil sie mir als KI-Experten bekannt waren. Begonnen hat es also mit reiner Neugier. Dann musste intern geklärt werden, wie budgetieren wir das Projekt, weil es mitten im Jahr dazu gekommen ist.
Was kann die KI AGNES heute?
Thomas Schirgi: AGNES ist seit Sommer im Betrieb und hatte vom Start weg Richtlinien, Handbücher und Leitfäden, von denen es bei uns wirklich viele gibt, „intus“. Das war vorher sehr komplex, weil enorme Mengen an Content im Unternehmen zu managen sind. Von Anfang an war Generative KI für uns ein Tool, das den Mitarbeiter:innen im tagtäglichen Arbeitseinsatz helfen soll. Wir sehen AGNES als Einstiegspunkt in dieses ganze Thema. Neu reingebracht haben wir vor kurzem die Planungshandbücher, die für die Konformität unserer Bauprojekte sehr wichtig sind. Zusätzlich wurde eine Expertenliste eingespielt, die bei der Suche nach Ansprechpartnern hilft und Auskunft gibt über Personen im Unternehmen, in welchem Team jemand arbeitet, mit wem, die Kontaktdaten, Erreichbarkeit usw. Ohne AGNES gestaltete sich das viel schwieriger. Man musste über Mitarbeiterlisten alles herausfinden. Jetzt liefert AGNES das und man kann sie ganz einfach fragen. Das hat wirklich viel gebracht. Mittlerweile haben wir auch, zugegebenermaßen wenig Geschäftsrelevante Themen, wie die Menüpläne in der AGNES. Dies dient aber eher dazu, die Scheu vor KI zu nehmen und AGNES noch mehr als zentrale Figur zu etablieren.
Wie haben die Mitarbeiter:innen auf die Idee reagiert?
Thomas Schirgi: Ich muss sagen, das war sehr unterschiedlich. Eigentlich sofort dabei war unsere IT – Abteilung, da diese von Natur aus technikaffin sind. Einerseits eben die Geschichte mit den Handbüchern und Richtlinien, aber auch ganz niederschwellige Fragen wie das Zurücksetzen von Passwörtern. HR reagierte zuerst skeptischer und hatte Bedenken, dass Dokumente nicht exakt so ausgegeben würden, wie es in den Quelldokumenten steht. Die Idee war, HR-Fragen wie Urlaubsansprüche über AGNES verfügbar zu machen. Diese Bedenken sind natürlich nachvollziehbar, da vor allem diese Antworten möglichst genau wiedergegeben werden sollen. Gemeinsam mit meinem Kollegen Gregor Husner versuche ich dem entgegenzuwirken. Wir haben eine eigene KI Richtlinie im Unternehmen veröffentlicht, die unsere Kolleg:innen im Umgang mit KI sensibilisieren soll. Wir weisen jetzt in unseren Veranstaltungen und direkt in AGNES mit Quellverweis darauf hin: Bitte überprüft die Richtigkeit. Dieses Mindset wächst und AGNES entwickelt sich ja auch weiter. Berührungsängste gibt es und manche Kolleg:innen sind generell vorsichtig. Das Baumanagement ist ein gutes Beispiel. Das sind Ingenieure, zwischen 18 bis 60 Jahre alt. Die, die von Beginn an ablehnend sind, werden schwer zu überzeugen sein. Viele von ihnen konnten wir aber gut abholen. Die Ingenieure testen die KI, stellen sie auf den Prüfstand, wollen sehen, wie gut sie wirklich ist. Da geht es auch um „schwer interpretierbaren“ Content mit Bildern und Tabellen. Viele reagieren dann doch begeistert, wie gut der Output tatsächlich ist.
Woran stellt ihr fest, ob die Mitarbeiter:innen davon überzeugt sind?
Thomas Schirgi: Also die Verwendung von AGNES ist komplett freiwillig. Es steht allen Mitarbeiter:innen offen, man muss sich nirgends registrieren und es wir nichts getrackt. Wir sehen an den Benutzerzahlen, dass mittlerweile über 1000 Personen AGNES nutzen, das ist gut ein Drittel der Belegschaft.
Noch können gar nicht alle im Alltag darauf zugreifen, vor allem nicht im Außendienst, wo nicht jeder mit den entsprechenden Endgeräten ausgestattet ist.
Wenn man bedenkt, dass AGNES jetzt primär mit Dokumenten gefüttert ist und man sie nicht verwenden „muss“, ist die Nutzungsrate recht hoch. Wir beobachten auch die Reaktionen in ihrer Gesamtheit. Inzwischen bekommt AGNES immer öfter ein „Daumen hoch“, einfach weil der Content besser wird und die Modelle im Hintergrund reifen
Wie habt ihr, abgesehen von der Freiwilligkeit, das Interesse an der KI-Verwendung gefördert bzw. den Leuten ihre Bedenken genommen?
Thomas Schirgi: Die Idee war immer, es einfach zu machen. Das beginnt schon mit dem Namen. „AGNES“ kann man sich leicht merken, es kommt einfach über die Lippen. Mehrere Monate vor der Inbetriebnahme starteten wir mit Live-Events - um KI vorzustellen, zu zeigen, wie man damit umgehen kann. Irgendwann kündigten wir an, dass wir einen eigenen Chatbot trainieren. Einige Kolleg:innen fanden das sofort eine coole Idee und wollten mitarbeiten. Dann haben wir Personen gesucht, die uns Content liefern und unsere „Content Ninjas“ gefunden, also Leute die bereit waren, in ihren Themenbereichen die AGNES zu füttern. Sie sind für gewisse Themenbereiche zuständig, das Ganze hat eine Bühne bekommen. Ich als Techniker habe das Domänenwissen zu vielen Themen gar nicht. Und dann haben wir vor dem offiziellen Release verschiedene Kolleg:innen aus dem Unternehmen testen lassen. Das war ganz wichtig! Wir haben gesehen, wie Personen tatsächlich fragen. Danach mussten wir den Launch verschieben. Aber das war gut fürs Projekt. Wichtig ist: Es gibt keine zweite Chance für den ersten Eindruck.
Was war deiner Meinung nach für die Mitarbeiter:innen ausschlaggebend?
Thomas Schirgi: Dass wir das Projekt schon geleitet, aber die Menschen von Beginn an einbezogen haben. Ich bin der Meinung, dass viele Personen mit Zwang schlecht umgehen können. AGNES war von Anfang an ein Angebot, die Verwendung komplett freiwillig. Bei manchen Diskussionen mit Kolleg:innen während der Projektphase muss man aber einen Schlussstrich ziehen, weil man es nie allen rechtmachen kann. Als Techniker haben wir auch immer die inhaltlichen Grenzen gesehen und Experten einbezogen, die den Content verstehen. Mit den Content Ninjas war das Thema in den Teams präsent. Das war sicher der allerwichtigste Punkt für die Leute, dass wir sie einbezogen haben. Sie konnten auch beim AGNES Logo Voting abstimmen und erleben AGNES seit der Geburtstagsstunde. Die „AI for us“ Live-Termine spielen eine wichtige Rolle, weil die Information die Angst nimmt. Den Mitarbeiter:innen wird alles gezeigt und sie erleben, dass AGNES das tut, was die KI tun sollte: uns die Arbeit erleichtern.
Wo gibt es Bedenken bzw. ist noch Überzeugungsarbeit zu leisten?
Thomas Schirgi: Man muss sie immer wieder aufs Neue bei den Menschen bewerben. Vor ca. 2 Wochen haben wir AGNES in MS Teams integriert und hatten sofort 175 Benutzeranfragen pro Tag mehr. Durch Teams ist die Einstiegsbarriere für meine Kolleg:innen noch niedriger geworden. Nagarro hat uns schon früh super Input gegeben, Dinge, an die wir nie gedacht hätten - wie man AGNES weiterentwickeln kann, welche Technologie die beste ist, aber auch, dass man es spielerisch mit Emojis nahbarer gestalten oder eben in Teams einbauen kann. Dieses interne Marketing, das funktioniert. Jetzt merkt man, es ist im Unternehmen angekommen. Manche sind vorsichtig, haben Angst, dass die Fragen, die sie eingeben oder die Daten mit getrackt werden. Das gibt es immer wieder, aber das kann man glaube ich abholen.
Wie geht es weiter mit der Generativen KI bei der Asfinag?
Thomas Schirgi: Als nächstes werden wir anfangen Nudges einzubauen, damit AGNES mit uns redet und nicht nur wir den Chatbot befragen. Das wäre hilfreich, z.B. um Handlungsempfehlungen zu teilen. Der coolste nächste Schritt, den wir vorhaben, ist unseren IT-Shop einzubinden, damit die Leute wirklich Bestellungen aufgeben können im IT-Shop und auch Ticket Requests öffnen. Auch das wird keine Pflicht sein, man kann es verwenden Eine Zukunftsidee wäre, den Traffic Managern, die draußen unterwegs sind, die Möglichkeit zu geben, Gespräche mit internationalen Autofahrern zu übersetzen. Wir haben AGNES bis jetzt im Bereich „Wissen für das gesamte Unternehmen“ gesehen. Wie man einzelne Bereiche am besten unterstützen kann, ist eine nächste spannende Frage.
Thomas Schirgi ist seit drei Jahren bei der Asfinag in der Maut Service Gesellschaft beschäftigt. Als IT-Projektleiter war er für die Einführung des Generativen KI Chatbot „AGNES“ bei der Asfinag verantwortlich, von der Ideenfindung bis zum Launch. Seit AGNES im Sommer 2024 den Realbetrieb aufnahm, ist Thomas Schirgi der Service Manager für AGNES und kümmert sich gemeinsam mit dem Change Management und dem Demand Management um interne Überzeugungsarbeit und neue Funktionalitäten.
ASFINAG, gegründet im Jahr 1982, ist ein bedeutender Akteur in der österreichischen Autobahn- und Schnellstraßeninfrastruktur. Das Unternehmen plant, finanziert, baut, betreibt und erhält rund 2.249 Kilometer an Autobahnen und Schnellstraßen und ermöglicht damit Mobilität für Generationen. Mit mehr als 3.000 Mitarbeitern setzt ASFINAG auf zukunftsorientierte, nachhaltige und innovative Lösungen und ist Teil der Mobilitätsrevolution in Österreich.
Nagarro wurde 1996 als Softwareentwicklungsunternehmen gegründet und hat sich zu einem globalen Anbieter für Digital Engineering und Technologieberatung entwickelt. Heute zählt Nagarro über 18.300 Mitarbeiter:innen in 37 Ländern. Die Hauptbereiche umfassen u.a. Künstliche Intelligenz, Augmented oder Assisted Reality, IoT-Lösungen, SAP-Dienstleistungen, Consulting bei Transformationsprozessen zu einem digitalen Unternehmen. Seit Dezember 2020 notiert Nagarro an der Frankfurter Börse und erreichte 2024 die Marke von 1 Milliarde US-Dollar Umsatz. Weltweit unterstützt Nagarro Unternehmen in verschiedensten Branchen und ist für mehr als 1.000 Blue-Chip-Unternehmen in 63 Ländern tätig.
Nagarro Lösungen verbergen sich etwa hinter dem Online-Kauf von ÖBB-Zugtickets, sind involviert, wenn man über die BMW „Rent a Ride“-Plattform einen Motorrad-Ausflug unternimmt, laufen bei weltweiten Flugplanungssystemen etwa bei Lufthansa und stecken hinter den Key-Cards von Hotelzimmern oder Aufzugstüren von ASSA ABLOY. Im Burgenland werden Windräder durch eine SmartGlass-Lösung von Nagarro gewartet, dieselbe Technologie ist für knapp 200 Busse bei Postbus im Einsatz. Mit New York City verbindet Nagarro eine langjährige und vielfältige Partnerschaft, in deren Rahmen etwa eine Plattform zur Verwaltung von Obdachlosigkeit in ganz New York City zur besseren Ersthilfe entwickelt wurde.